Appell österreichischer Sexualwissenschaftler an die Uni-Reformer
Bisher führte die Sexualität in fast allen Universitätsstudien – von der Medizin über die Psychologie bis hin zur Pädagogik – ein Schattendasein, das sich in minimaler Präsenz im Lehrangebot ausdrückte. Kaum irgendwo waren an österreichischen Universitäten Lehrveranstaltungen zu finden, die sich explizit mit Fragen der psychosexuellen Entwicklung, der sexuellen Orientierungen, der geschlechtlichen Identität, der Entwicklung von Geschlechtsrollen und des menschlichen Sexuallebens befassten.
Ein diesbezüglich eingerichteter, europaweit einmaliger Wahlfachstudiengang der ehemaligen Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck (Leitung: Prof. Aigner) wird wie alle anderen Wahlfachstudiengänge der universitären Budgetknappheit zum Opfer fallen und höchstens als postgraduale Weiterbildung gegen zusätzliche Gebühren weitergeführt werden können. Gegen das Defizit sexualwissenschaftlicher Kompetenz in den Regelstudien freilich helfen postgraduale Angebote nichts!
Die konkrete Praxis belegt immer wieder die enormen Defizite an Wissen über die menschliche Sexualität in den meisten humanwissenschaftlichen Berufsfeldern!
ÄrztInnen, die sich aus verständlicher Ratlosigkeit in medikamentöse Behandlungen flüchten, weil es ihnen an Grundkenntnissen und interdisziplinären Wissen mangelt; PsychologInnen und PsychotherapeutInnen, die zu SpezialistInnen weitervermitteln, obwohl sie doch selbst für eine derart zentrale Thematik menschlicher Existenz zuständig sein sollten; PädagogInnen, die in der konkreten Begleitung der psychosexuellen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sowie deren Familien absolut überfordert sind etc. Diesem Mangel an Kompetenzen bei AbsolventInnen österreichischer Hochschulen muss dringend Abhilfe geschaffen werden.
Die Sexualwissenschaftler Aigner und Wahala fordern daher dringend dazu auf, das komplexe Thema der menschlichen Sexualität in die fachlich dafür zuständigen universitären Studienpläne und psychotherapeutischen Ausbildungscurricula zu integrieren. Es ist völlig unverständlich, warum ein Lebensbereich, der ganz zentrale menschliche Bedürfnisse, Sehnsüchte, Gedanken, Entscheidungen, Handlungen etc. betrifft, in den entsprechenden humanwissenschaftlichen Ausbildungen vielfach keinerlei Berücksichtigung findet!